Interview Adrian Werum


Interview Adrian Werum

„NEUE WELTEN ÖFFNEN SICH“

VON MARK-CHRISTIAN VON BUSSE ( Hessische Allgemeine Kassel )

Mit einem außergewöhnlichen Auftritt beschließt der Kultursommer Nordhessen seine Konzertsaison. Zu Gast in Kassel ist am Dienstag das Orchester der Kulturen. Wir sprachen mit Dirigent Adrian Werum.

Ihr Motto „Sinfonie meets Weltmusik“ klingt wagemutig. Wie funktioniert das?

ADRIAN WERUM: In die Besetzung der Sinfonik werden ethnische Instrumente eingebaut. Orchestermusiker, die Noten lesen, müssen darauf vorbereitet sein, dass Instrumente, die nicht nach Noten gespielt werden, Raum haben, um sich zu entfalten. Das ist schon ein spezielles Orchester, das nicht unbedingt von einem anderen Dirigenten geleitet werden kann.

Wie wählen Sie die Stücke?

WERUM: Manchmal nehmen wir ein bekanntes Thema wie „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss oder Mozarts „Ave Verum“ und entwickeln etwas ganz Neues daraus. Das Ursprungsthema bleibt gleich, aber wir ergänzen Elemente. Zum Beispiel Rhythmen aus Lateinamerika oder Afrika. So eröffnen sich auch harmonisch neue Welten. Wir spielen mit den Traditionen. Ich zitiere nicht umsonst Leonard Bernstein auf unserer Webseite. Er meinte, die Zukunft der Musik besteht in Eklektizismus auf höchstem Niveau, also darin, dass Einflüsse aus der ganzen Welt zusammenkommen.

Wie ist die Resonanz? Ich kann mir vorstellen, dass es Puristen gibt, die solche Experimente ablehnen.

WERUM: Das Verrückte ist: Die Menschen, die am ehesten damit Probleme haben, kommen witzigerweise aus dem Klassikbereich. Da wird man so erzogen – ich hab das ja selbst durchgemacht –, dass Klassik als etwas Abgeschlossenes vermittelt wird. In der Schule lernt man: Strauss ist der letzte Romantiker, danach gibt es hässlich anzuhörende Musik, die man aufführt, damit der Subvention Genüge getan wird. Wenn jemand eine Renaissance der Klassik mit anderen Mitteln angeht, sie entwickeln will, passt das nicht in diese Vorstellungswelt. Aber Musik von Kollegen zu bearbeiten, das haben Komponisten früher reihenweise gemacht. Denken Sie nur an Liszt. Heute werden die Werke auf ein Podest gehoben, niemand traut sich ran. Leute, die Schlager hören, sind manchmal offener dafür.

Welches Instrument hat für Sie den überraschendsten Effekt, bietet den größten Reiz?

WERUM: Schwer zu sagen. Wir haben neue Musiker aus Syrien und dem Irak, ihre Saz ist ein fantastisches Instrument: eine dünnere Form der Laute mit sieben Stahlsaiten, die einen sehr metallischen Klang hat. Viele spielen wahnsinnig virtuos, mit einer Technik, wie man sie aus dem Hardrock von Van Halen kennt.

Gewinnen Sie Publikum mit Migrationshintergrund?

WERUM: In Stuttgart, wo wir zu Hause sind, ist das Publikum ethnisch weit gestreut. Man spürt: Unsere Auseinandersetzung mit der Musik ist eine Sache des Respekts. Die Menschen fühlen sich wertgeschätzt und ernst genommen. Wir kommen auch beim älteren Bildungsbürgertum gut an. Das ist die Woodstock-Generation, die früheren Hippies, die jetzt andere Musik hören. Sie sehen im Orchester die Weltoffenheit. Eine Friedensbotschaft, die ihnen nahegeht.

Hat Musik tatsächlich völkerverbindende Wirkung?

WERUM: Das geht noch weiter: Musik hat lebensverändernde Kraft. Man fragt sich, ob das bisherige Leben richtig war: Lebe ich im Einklang mit meinen Gefühlen, denke ich nur an mich? Musik bringt einen in Einklang mit den Mitmenschen und mit der Schöpfung. Das ist riesig.

Und das erleben Sie beim gemeinsamen Musizieren?

WERUM: Durchaus. Man muss immer vorbereitet sein auf das Neue, das Überraschende. Keine Aufführung ist gleich. Darauf muss man sich einlassen. Dem Publikum wird nichts präsentiert, was es kennt.

Gibt es im Orchester Probleme, die mit der unterschiedlichen Herkunft zu tun haben?

WERUM: Nein, das haben wir eigentlich noch nie erlebt.

Sie sind Komponist, Dirigent, Arrangeur und Pianist. Worauf könnten Sie am wenigsten verzichten?

WERUM: Auf das Komponieren. Aber das geht alles fließend ineinander über. Ich bin zum Komponieren gekommen, weil wir in meiner Kindheit viel polnischen Besuch hatten. Wenn der einen gewissen Wodka-Pegel hatte, musste ich immer Chopin spielen. Irgendwann hatte ich nicht genügend Repertoire, da hab ich im Stil von Chopin weiterkomponiert.

Sie sind selbst enorm vielfältig unterwegs – vom Musical bis zu Marshall & Alexander. Gibt es Musik, mit der Sie sich nie beschäftigen würden?

WERUM: Nein. Wenn ich super gelaunt bin, höre ich auch gern Schlager. „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben …“

(singt). Das ist doch unsterblich. Mein Ideal ist, dass man wie früher beim „Freischütz“ oder der „Zauberflöte“ ohne Musikkenntnisse die Melodien

genießen kann. Und als Kenner genießt man eben noch mehr.

Wenn Sie sich wegbeamen könnten, um Musik zu machen würden Sie vielleicht einen Fürstenhof wählen, einen Jazzclub oder eine Bar in der Karibik?

WERUM: Das Bayreuther Festspielhaus, den ersten „Tristan“.

Das überrascht mich jetzt.

WERUM: Wieso? Wagner war unerhört, die Leute sind damals in Ohnmacht gefallen.